Französische Sprache: Notstand! Aufruf eines Zusammenschlusses von Vereinen

20 December, 2009

Übersetzung aus dem Französischen: Kurt Gawlitta, Berlin, 16.12.09

Die Vereine, die diesen Aufruf unterzeichnen, vereinigen Demokraten aller politischer Richtungen. Einstimmig liefern sie hier einen beunruhigenden Zustandsbericht über das politische Schicksal, welches der französischen Sprache in Frankreich widerfährt.

Als „Sprache der Republik“ (Art. 2 der Verfassung) ist das Französische eine Voraussetzung des nationalen und republikanischen Zusammenlebens und bedeutet, entsprechend aktueller Umfragen, für 80% unserer Mitbürger einen der bedeutendsten Pfeiler der nationalen Identität. Jetzt ist das Französische bei uns ebenso schwer bedroht wie in Quebec, im französischsprachigen Afrika, in Wallonien oder in der französischen Schweiz. Ursache dafür ist weniger der Zeitgeist als eine Sprachpolitik, welche vor allem durch große französische Wirtschaftsunternehmen betrieben wird. Sie erfahren die Unterstützung politischer Kreise, die natürlich auch europäischen und transatlantischen, aber in erster Linie französischen Ursprungs sind. Nach Michel Serres, der feststellt, dass mehr englische Wörter auf den Mauern von Paris zu sehen sind als deutsche Wörter zu Zeiten der Besetzung, stuft der Sprachwissenschaftler Claude Hagège das Französische in seinem „Wörterbuch aus Liebe für die Sprachen“ unter den bedrohten Sprachen ein.

Es ist an der Zeit, alle Bürger zum sprachlichen Widerstand aufzurufen.

Unsere Vereine rufen dazu das französischen Volk und alle Französischsprechenden der Welt auf sowie alle jene, die wissen, was die Freiheit, die Gleichheit, die Brüderlichkeit, aber auch die Literatur, die Philosophie, das Recht und die Wissenschaften der Sprache von Molière, Césaire, Verhaeren und Senghor verdanken.

Seit längerem geht es nicht nur um massive Anleihen beim Angloamerikanischen. Zahlreiche große Unternehmen verfolgen das Ziel, einen Großteil ihrer Sprachpraxis auf Englisch umzustellen: „Time to move!“ ist der Titel eines Programms von Veränderungen, die France-Telecom seinen Angestellten auferlegt, indem sie mit einer erschreckenden Verschlechterung der Arbeitsbedingungen noch die sprachliche Erniedrigung verbinden. Die gleiche Mode - die „mood“ – auch bei AREVA… Im Handel stellen Carrefour, Auchan … ihre Erzeugnisse und Auszeichnungen auf das Basar-Englisch um. Sie werden nachgeahmt von den öffentlichen Dienstleistungen wie SNCF (Bahn), Post oder Air France. Ist nicht das Motto der Medef (Arbeitgeberverband) „Bereit für die Zukunft?“ Der Höhepunkt des „Sozialen Dialogs“: Auf Englisch mussten die Arbeiter von Continental-Clairoix, die im Hof ihrer Fabrik versammelt waren, ihre gemeinsame Kündigung entgegennehmen! So weit sind die Dinge schon fortgeschritten, dass die Gewerkschaften verschiedener Einflussbereiche wie CGT, CFTC, UNSA und CGC auf die Barrikaden gehen mussten, um das Recht zu verteidigen, in Frankreich auf Französisch zu arbeiten.

Bemerkenswert auch die Arbeit der französischen wissenschaftlichen Forschung: Jahrhunderte nach dem revolutionären Schritt von Descartes, auf Französisch seinen „Beitrag über die Methode“ zu veröffentlichen, wird von unseren Forschern nur noch auf Angloamerikanisch gedacht und geschrieben und durchweg nicht einmal ins Französische übersetzt. Gehen wir über zum Chanson, zur Werbung, die sich zur Hauptsendezeit vor allem an die jungen Leute und die Kinder wenden…Was macht eigentlich der CSA (Conseil Supérieur de l’Audiovisuel, unabhängiges staatliches Gremium auf gesetzlicher Grundlage, das die Freiheit der Kommunikation im audiovisuellen Bereich gewährleisten soll, d. Ü.)

Man sieht nur zu gut, wer von diese Politik der sprachlichen Vernichtung im pseudo-modernen Gewand etwas hat: Sie nützt dieser Elite und diesen Privilegierten, die – nicht nur rechten Spektrum – bereit sind, ihre Muttersprache beiseite zu schieben, um die globalisierte Elite besser zu integrieren und ihren Herren ähnlicher zu machen. Die „kleinen Leute“ ihrerseits sind einer stärkeren sprachlichen Diskriminierung ausgesetzt als jemals. Unsere mittleren Führungskräfte glauben, sich aus der Affäre zu ziehen, indem sie das „Wall Street English“ verschlingen, für das in der Pariser Metro geworben wird, während der Übergang zum alles beherrschenden Englisch bei einer mehr und mehr entwerteten Arbeit zu deren Entfremdung beiträgt.

Wenn man sieht, welche Schläge geführt werden, beunruhigt das Schweigen der öffentlichen Stellen. Schlimmer noch: Die Ministerien billigen oder künden verschiedene Maßnahmen an, um das Französische durch Englisch zu ersetzen, von den Klassen der Grundschule bis zur Hochschulausbildung. So sendet das Programm aus Reims für Politische Wissenschaft alle Kurse auf Englisch. Ebenso versucht Valérie Pécresse (Ministerin für Hochschule und Forschung, d. Ü.), die Universität dem Geltungsbereich der Loi Toubon (Sprachschutzgesetz, d. Ü) zu entziehen. Im gleichen Sinne kündigt der Staatschef an, dass grundlegende Unterrichtsinhalte der Sekundarstufe in Fremdsprachen vermittelt werden sollen, d.h. auf Englisch.

Man muss leider feststellen, dass die Europäische Union, die durch ihre Gründungstexte immerhin verpflichtet ist, die Nationalsprachen zu verteidigen, diese sprachliche Rodung nicht groß zur Kenntnis nimmt. Ihre Organe machen sich im Namen des Wirtschaftsliberalismus sogar daran, den Nationalsprachen jeden juristischen Schutz zu entziehen, was so weit geht, dass sich führende Kreise in Frankreich der Verordnungen aus Brüssel bedienen, um das Gesetz zu umgehen.

Wir fordern deshalb eine große nationale Debatte über den Rang der französischen Sprache wie auch der anderen Sprachen, damit der planmäßige Sprachen-Mord nicht in aller Stille geschehen kann, ohne dass das souveräne Volk sich um die Verteidigung seiner Sprache kümmert.

Wird die gegenwärtige Regierung, die über die nationale Identität fabuliert, daran mitwirken, das französische Volk mit einer aufgezwungenen Einheitssprache einzukerkern? Die Verteidigung unseres sprachlichen Erbes erfordert Schutz und aktive Förderung der französischen Sprache, der sprachlichen Vielfalt und der Frankophonie auf unserem Kontinent und weltweit. Wir sprechen hier nur über das, was nötig ist, um zum gesunden Menschenverstand zurückzukehren: In der Grundschule und in der Sekundarschule müssen wir mit einem soliden Unterricht in der jeweiligen europäischen Landessprache beginnen. Erst dann folgt der Unterricht in zwei Fremdsprachen, wovon gemäß den Empfehlungen von Professor Hagège die erste eine andere als Englisch sein soll. Wir müssen in der Hochschulausbildung die Rolle des Französischen wieder festigen und ihm das Bürgerrecht in der Forschung zurückgeben. Brüssel soll seine eigenen rechtlichen Grundlagen für die Rolle der Sprache wieder respektieren.

Unser Aufruf richtet sich auch an die Esperantisten, an die Freunde der Regionalsprachen, die schnell ausgerottet sein werden, wenn die gemeinsame Sprache an den Rand gedrängt ist, an die Einwanderer, die weiterhin unsere Sprache sprechen wollen, ohne die Sprache ihres Herkunftslandes zu vergessen, an unsere Mitbürger aus den überseeischen Gebieten, die Französisch und Kreolisch sprechen wollen. Wenn eine Sprache mit einer weltweiten Ausstrahlung wie die unsere schließlich sogar im Ursprungsland ersetzt wird, welche andere Sprache in Europa hätte die Kraft, der angloamerikanischen Dampfwalze zu widerstehen? Dieser Aufruf zum Widerstand und zum schöpferischen Umgang aller, die Französisch sprechen, wendet sich an alle Bürger und an Entscheidungsträger, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, an Lohnempfänger, Studenten, Lehrer, mittelständische Unternehmer, die im Alltag der Menschen das Französische lebendig werden lassen. Wenn man seine Sprache an den Rand drängt, will man in Wahrheit das Volk aus seinen Träumen vertreiben.

Wir richten uns mit großem Ernst an die Schriftsteller, Denker, Übersetzer und alle jene, die mit der französischen Sprache schöpferisch arbeiten, überall dort, wo unsere Sprache praktiziert und geliebt wird: Ihr alle, für die unsere Sprache ein Arbeitswerkzeug und ein Element Eurer Existenz bedeutet, tretet in den öffentlichen Widerstand gegen die Einheitssprache! Lasst uns fünf Jahrhundert nach Joachim de Bellay, der zur „Verteidigung und Stärkung des Ansehens“ des Französischen aufrief, unsere Sprache am Leben erhalten und sie gegen die barbarische Logik des Königs Geld verteidigen.

Unterzeichner:

Alliance Champlain

Association francophonie avenir

Association pour la sauvegarde et l’expansion de la langue française

Avenir de la langue française

Cercle litteraire des écrivains cheminots

C.O.U.R.R.I.E.L. (Collectif Unitaire Républicain pour la Résistance, l' Initiative et l' Emancipation Linguistique)

Défense de la langue française, Paris-Ile-de-France

Forum francophone international France

Le droit de comprendre

Le français en partage

Gerflint